Kurzgeschichten von Kindern
Der spanische Tanzkurs
„Julia“, rief Lisa, „wir kommen zu spät zum spanischen Tanzkurs!“ „Ich komm ja schon“, sagte Julia. Julia und Lisa waren die besten Freundinnen. Sie unternahmen einfach alles zusammen. Auch diesen Tanzkurs.
Sie standen vor der großen Tür. „Puh, zu spät“, keuchte Lisa, als sie auf die Uhr sah. „Komm schnell rein.“ Als sie sich fertig umgezogen hatten, gingen sie in den Tanzsaal und waren begeistert. Überall Tänzer in wunderschönen, glitzernden und bunten Kostümen. Einer kam tanzend auf sie zu. Er tanzte, er schwebte durch den riesigen Saal. Francesco war sehr schlank und hatte schwarze Haare. Seine dunkelbraunen Augen strahlten die Mädchen an.
„Ihr müsst Julia und Lisa sein?“ fragte er sie. „Ja“ antworteten sie gleichzeitig. „Ich heiße Francesco. Folgt mir bitte.“, forderte er sie auf.. Die beiden nickten nur fassungslos.
„Also, meine Damen, zunächst werde ich euch die einfacheren Schritte beibringen. Vor, zurück und rechts und links danke, das war schon recht gut. So und gleich noch einmal.“
Sie übten diese Schritte stundenlang, bis sie nicht mehr konnten. Am Abend waren sie so müde, dass sie sofort einschliefen. Aber sie träumten von spanischen Tänzern und von Francesco. Als sie zwei Tage später wieder beim Tanzkurs waren, strengten sie sich besonders an. Sie wollten vor den anderen guten Tänzern nicht doof da stehen.
Nach einigen Wochen Tanzunterricht begannen die Freundinnen zu streiten, wer besser sei und wen Francesco mehr möge. Das war gar nicht so leicht zu sagen, denn Francesco lobte beide auffallend häufig. Außerdem flirtete er mit ihnen. Um ihm zu gefallen zogen sich Julia und Lisa besonders schön an. Sie schminkten sich sogar. Julia begann weniger zu essen. Sie wollte schlanker sein für ihn. Damit ging eine Freundschaft kaputt. Und das wusste Francesco. Denn den einen Tag küsste er Julia zum Abschied auf die Wange und am anderen Tag Lisa, ohne die jeweils andere zu beachten. Doch Julia und Lisa merkten nicht einmal, dass er alles zerstörte, denn sie waren blind vor Stolz, die Bessere zu sein. Alles andere war ihnen egal.
Nach ungefähr fünf Monaten hörte Francesco auf Unterricht zu geben. Die Mädchen beschuldigten sich gegenseitig, der Auslöser dafür zu sein. Da Francesco ihnen nicht den Grund für sein Gehen erklärte. Die Mädchen brauchten jemanden, dem sie die Schuld in die Schuhe schieben konnten. Es ging so weit, dass sie nicht einmal mehr miteinander reden konnten. Ihre jahrelange Freundschaft war zerstört.
Nach einer Weile merkten die beiden, dass sie nicht nur Francesco vermissten, sondern dass es viel mehr die Freundin war, die ihnen fehlte. Die Sache mit Francesco war eigentlich vollkommen unwichtig. Sie vermissten sich und das so stark, dass sie sich eines Tages weinend in den Armen lagen.
Vanessa Thamke, 12 Jahre (Falkenseer Kurier 07-2005)