Kurzgeschichten von Kindern
Kriegskind
Das kleine Mädchen stand am Zaun zum Truppenübungsplatz. Sie staunte über all die großen Leute mit Waffen. Doch als einer von ihnen in Richtung Zaun kam, rannte sie weg.
Das kleine Mädchen hieß Lisa, wohnte in Dallgow und hatte einen großen Bruder. Sie war 5 Jahre alt und lebte mitten im 2. Weltkrieg.
Nachmittags, wenn sie mit anderen Kindern spielte, gingen sie oft zum Zaun. Hinter diesem Zaun übten die deutschen Soldaten. Da es gerade Winter war, sah man dort weniger Menschen. Die Soldaten flößten Lisa Angst ein. Auch mussten sie oft in den Bunker. Lisa mochte es nicht, danach die ganzen zerbombten Gebäude und überall die Toten und Verletzten zu sehen.
Bisher hatte es sie noch nicht getroffen.
Es war Anfang Januar 1944 und Lisa kam gerade vom Spielen nach Hause. „Na, habt ihr Spaß gehabt?“ fragte Lisas Mutter. „Ja“, antwortete Lisa, „aber was ist mit dem Brief, den Papa bekommen hat?“ „Er muss wahrscheinlich zur Armee“, sagte Lisas Mutter mit einem Seufzer. Lisa zuckte zusammen, sie hatte doch so sehr gehofft, dass er nicht zur Armee muss. Doch jetzt musste er wohl. Lisa ging hoch und spielte mit ihren Bauklötzen.
Am nächsten Morgen verabschiedete sie sich und ging zu ihrer Freundin. Ihren Vater würde sie erst einmal nicht wieder sehen. Deshalb war ihre Stimmung die ganze Woche lang bedrückt. Nach zwei Wochen gab ihre Mutter ihr einen Korb und sagte, sie solle zum Zaun des Truppenübungsplatzes gehen. Dort werde ihr Vater auf sie warten. Sofort rannte Lisa los. Als sie am Zaun war, sah sie ihren Vater sofort. Er bedankte sich bei ihr und gab ihr einen Kuss. Ab jetzt schickte ihre Mutter Lisa einmal in der Woche zum Zaun. Das ging bis Ende Februar. Sie war gerade richtig zufrieden mit sich und der Welt, als ihre Mutter ihr sagte, dass ihr Vater in die Schlacht ziehen musste. Alle waren bedrückt und selbst Lisas großer Bruder, der sonst immer fröhlich war, schwieg.
Nach einem Monat kamen die Truppen wieder. Lisas Vater wirkte zwar erschöpft, lebte aber. Dies löste große Erleichterung aus. Lisa konnte sich endlich wieder auf ihr Leben konzentrieren und am Zaun ihren Vater treffen.
Es schien alles friedlich bis zum 11. April 1944. Lisa wollte gerade spielen gehen, da läutete die Alarmglocke. Schnell musste sie in einen Bunker. Sie schaffte es noch, aber da sah man auch schon die Flugzeuge. Man hörte, wie die Bomben einschlugen und dann Totenstille. Als sie wieder heraus kam, sah sie, was geschehen war. Einige Gebäude waren zerstört und überall roch es nach Rauch. Viele Leute weinten. Bald war klar, wer gestorben war. Darunter war auch Lisas beste Freundin, die auch gerade losgehen wollte.
Nach diesem Angriff wurden wieder Truppen ausgeschickt und auch Lisas Vater. Währenddessen waren Lisa und ihr Bruder zuhause. Sie durften nur noch selten nach draußen, wegen der Gefahr von Angriffen.
Anfang Juni kamen die Truppen wieder. Aber diesmal hatte Lisas Vater nicht überlebt. Sein Name wurde nach dem Krieg auf eine Tafel eingraviert.
Es wurden immer weniger Soldaten. Deshalb musste man ab September 1944 mit 14 Jahren an die Front. Dieses Schicksal traf auch Lisas Bruder. Jetzt musste auch er gehen. Lisa brachte ihm immer die Körbe mit Essen, hatte aber auch Angst um ihn.
Im Oktober schlugen viele Bomben ein. Nur noch wenige Häuser standen. Dann musste Lisas Bruder gehen. Sie bangte um ihn und dachte an die schöne Zeit, als sie im Schwanengraben baden waren. Ihrer Mutter erging es nicht viel besser.
Dann kamen die Truppen wieder. Ohne Lisas Bruder. Er war in russischer Kriegsgefangenschaft gefallen.
In Dallgow standen inzwischen nur noch wenige Häuser. Immer mehr Krankheiten breiteten sich aus. Auch Lisas Mutter erkrankte an der Grippe, aber sie wurde geheilt.
Die Russen kamen näher.
Dann erkrankte auch Lisa an Typhus. Aber es gab nur noch wenige Medikamente, so musste sie warten. Draußen wurde es wärmer, aber Lisa wurde nicht gesund. Im April, kurz vor Kriegsende, starb sie.
Den Frieden hat sie nie erlebt.
Christina Klotz, 12 Jahre (Falkenseer Kurier 09 - 2005)