Bericht aus dem Ökogarten
Die Bahnhofstraße ist erblüht
Nein, es ist nicht so, dass es aus unserem Garten nichts zu berichten gibt. Fast täglich weist mich die Gärtnerin an meiner Seite auf dieses oder jenes hin, das gerade zu blühen beginnt, besonders schön aussieht oder wider Erwarten doch noch in Erscheinung getreten ist oder an einer Stelle auftaucht, wo sie es bestimmt nie hingepflanzt oder ausgesät hat. Auch meine Lieblinge, die Gewürztagetis, entwickeln sich gut und geben zugleich Rätsel auf, weil aus der einen Samentüte Pflanzen entstehen, die so ganz anders aussehen. Aber, das versichere ich meiner skeptisch blickenden Frau immer wieder, auf der Tüte stand wirklich Gewürztagetis drauf.
Und dennoch will ich meinen Blick heute einmal über den eigenen Gartenzaun hinaus lenken, nicht zu den Nachbarn, obwohl es dort sicherlich auch einiges zu entdecken gäbe, sondern viel weiter, bis in die Bahnhofstasse. Ich komme ja als jemand, der in Falkenhöh wohnt, nicht allzu oft dorthin, aber als ich kürzlich wieder einmal dort war, wurde ich von der üppigen Vegetation auf den Randstreifen überrascht. Nein, es war kein Unkraut, oder korrekt benannt, kein unerwünschtes Wildkraut, sondern es waren schön blühende Pflanzen, die sich nicht zufällig dort angesiedelt hatten.
Ich entsinne mich noch daran, wie es kurz nach der Fertigstellung der Strasse in der Leserbriefspalte der MAZ ob des „Unkrautes“ auf den Randstreifen hoch her ging, und das Gartenbauamt um Geduld bat und zusagte, dass man zum geeigneten Zeitpunkt Anpflanzungen vornehmen werde. Und tatsächlich, das Warten hat sich gelohnt. Als ich jetzt die Bahnhofstrasse vom Falkenhagener Anger kommend bis zur Stadthalle durchfuhr und lief hatte ich tatsächlich den Eindruck, in einer Gartenstadt zu sein. Schön gemacht, Ihr Leute vom Gartenbauamt.
Nein, es sind keine Tulpen, Rosen oder andere Beetstauden, die die Straße säumen, sondern es ist die Wildstaude Storchschnabel (lat.Geranium) als Bodendecker.
Erlauben Sie mir lieber Leser, dass ich Sie an dieser Stelle an meinem Erkenntnisprozess beteilige. Bei der Recherche zu diesem Artikel ist mir nämlich erst richtig klar geworden, was es mit dem Unterschied von Beet- oder Pracht- und Wildstauden auf sich hat, und was mich gelegentlich an dem naturnahen Garten meiner Frau irritiert hat. Im elterlichen Garten meiner Kindheit gab es lauter „richtige Blumen“. Da waren die Blüten üppig und farblich attraktiv, sie waren das Ereignis. Dass dazu auch eine Pflanze mit Blättern gehörte, war zwar so, aber es war nebensächlich. Typisches Beispiel sind die prachtvollen Dahlien, auch wenn sie, wie meine Frau mich verbessert, gar keine Stauden sind sondern Knollengewächse, die ich noch heute mag. All diese Blumen, so weiß ich jetzt, sind das Ergebnis jahrelanger züchterischer Bemühungen. Bei uns im Garten blüht es unter der liebevollen Regie meiner Frau selbstverständlich auch, aber meist mit Blüten, die eingebettet sind in das üppige Grün der Blätter. Im naturnahen Garten sind es eben eher die Wildstauden, die das Bild bestimmen. Wildstauden sind, so sagt meine Frau, viel anspruchsloser, weisen meist eine größere Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und Schädlinge auf, sind robust und wuchsfreudig. Letzteres kann ich bestätigen, wuchern sie doch an manchen Stellen, wo nach meinem Eindruck weniger mehr wäre. Die Wuchsfreudigkeit hat allerdings den angenehmen Nebeneffekt, dass die unerwünschten Wildkräuter (Unkraut) in ihrer Entwicklung unterdrückt werden. Obwohl, wenn ich meine Frau so höre, das auch nicht immer stimmen kann, denn sie schimpft immer wieder über das viele Gras und vor allem den Giersch, die sich zwischen den Wildstauden breit machen. Auch wenn sie das in solchen Situationen nicht trösten wird, zwischen Beetstauden wäre das noch viel schlimmer, wenn vielleicht auch übersichtlicher.
Nun kann ja jemand, der die Passage am Anfang des Artikels über den schönen Bewuchs in der Bahnhofstrasse nur flüchtig gelesen hat übrigens auch dort kann man an einigen Stellen beobachten, dass die Unterdrückung ungewollter Wildkräuter durch die Wuchsfreudigkeit der Wildstauden nicht so ganz funktioniert, und vielleicht könnten die Stadtgärtner durch das gelegentliche Entfernen des „Unkrautes“ den Gesamteindruck noch optimieren- wer also die Passage am Anfang des Artikels nur flüchtig gelesen hat könnte meinen, dass der Verfasser dabei einiges durcheinander gebracht habe, von Geranien sei doch weit und breit nichts zu sehen. Und er hätte nicht einmal ganz Unrecht, nur dass das nicht Schuld des Verfassers ist. Der Biologe Linne’ hat vielmehr, als er sich daran machte alle Pflanzen zu beschreiben und zu ordnen, das Geranium (Storchenschnabel) und das Pelargonium (Geranie) wegen gewisser Ähnlichkeiten zusammengefasst und damit einige Verwirrung verursacht. Inzwischen ist dieser Irrtum aber längst behoben, und die Geranie auf Ihrem Balkon ist ein Pelargonium und der Storchschnabel eben ein Geranium.
Wie nicht anders zu erwarten, gibt es in unserem Garten auch Storchschnäbel,- der Name rührt übrigens von der Form der Samen her, die wie lange Schnäbel aussehen-. Bei uns gibt es so um die zehn verschiedene. Insgesamt, so habe ich es jedenfalls auf der hoch interessanten und empfehlenswerten Internetseite www.geranium.at von der jugendlichen Karin Lugenbauer aus Österreich nachgelesen gibt es über 150 verschiedene Storchenschnäbel. Sicherlich sind das alles keine Wildstauden mehr sondern dann auch Züchtungsergebnisse und damit Beetstauden. Sie haben unterschiedliche Blattformen und Blütenfarben von rosa über kräftiges margenta, tintenblau, violett bis zum reinen weiß. Sie blühen von Sorte zu Sorte verschieden lang, vom Mai bis in den September und haben so schöne Namen wie Sumpfstorchschnabel, Wiesenstorchschnabel, Ruprechtsstorchschnabel, Blutstorchschnabel und so weiter und so fort.
Welche Sorte nun in der Bahnhofstrasse blüht, das weiß ich nicht so genau, es könnte der Blutstorchschnabel sein. Aber wie immer sie auch heißen mögen, erfreuen kann man sich an ihnen allemal.
Zum Schluss noch ein Hinweis, Storchschnabel sollte man nicht mit Lerchensporn verwechseln, sonst recherchiert man, wie dem Verfasser geschehen, im Internet an der falschen Stelle.
Wolfgang Levin