Rettet Linda!
Ein Lehrstück in Sachen Demokratie oder die Macht des Marktes ...
Sie kennen Linda nicht? Ich gehe jede Wette ein, dass auch Sie Linda bereits dutzendfach vernascht haben! Linda wurde 1974 geboren, ist eine wohlgeformte, appetitliche Schönheit mit glatter, goldgelber Haut südamerikanischen Ursprungs - oder profaner ausgedrückt: eine Kartoffelsorte.
Knollenkenner, Landwirte und Gourmets sind sich einig, dass sie derzeit die Königin unter diesen Nachtschattengewächsen ist, weil sie sich durch folgende Eigenschaften auszeichnet: glattschalig, ovale Form, festkochend, würzig-intensiver Geschmack, cremig-buttrige Konsistenz, appetitlich gold-gelbe Farbe und bei alledem auch noch sehr gut lagerfähig.
Linda soll aber nun, trotz 30-jähriger Bewährung und Erfolgsgeschichte, spätestens im nächsten Jahr für immer vom Markt verschwinden, und jeder halbwegs verstandesbegabte Mensch muss sich verwundert fragen, warum. Erklärbar wird dies durch die ehemals deutsche Regelungs-, Gesetzgebungs- und Normierungswut, die sich bei den entsprechenden Gremien des EU-Marktes immer noch weiter steigerungsfähig zeigt. Lindas Erzeuger, ein Lüneburger Züchtungsunternehmen, namens ‚Europlant’, erwarb vor 30 Jahren die Zulassung und die Lizenz für das In-Verkehr-Bringen des Saatgutes für die genannte Kartoffelsorte, also eine Art „copyright für Linda“. Damit verbunden ist, dass nur die Firma Europlant das Saatgut in den Handel bringen durfte und alle Landwirte, die das Saatgut bezogen, an Europlant Lizenzgebühren zu zahlen hatten. Die hinter diesem Verfahren stehende, strenge Gesetzgebung soll unter anderem die Einhaltung der Qualitätskriterien in Bezug auf Sortenreinheit, die Einhaltung der EU-weit geltenden Markt-Klassifizierung in Bezug auf äußerliche Form, Größe und Beschaffenheit eines landwirtschaftlichen Produkts gewährleisten und des Weiteren, dem Züchter durch dieses Verfahren eine Möglichkeit der Re-Finanzierung seines Forschungs-, Züchtungs-, Entwicklungs- und Zulassungsaufwandes ermöglichen. Andererseits soll dadurch verhindert werden, dass irgendein x-beliebiger (Nach)-Züchter eine minderwertigere Kartoffel unter dem gleichen Namen in den Handel bringen und damit ungerechtfertigt Geld verdienen kann. Pro Pflanzensorte, für die beim Bundessortenamt in Hannover eine Zulassung beantragt wird, kann der Antragsteller eine Lizenz über 30 Jahre erhalten. Diese ist im Falle ‚Linda’ per 31.12.04 abgelaufen. Somit dürfte nach dem Sortenschutzgesetz nun jedermann ‚Linda’ weiterzüchten, handeln und verkaufen, ohne weitere Lizenzgebühren an den ursprünglichen Züchter entrichten zu müssen.
Aber, wo kämen wir denn hin, wenn sich dies angesichts eines 30 Jahre lang einträglichen Erfolgsprodukts wie ‚Linda’ nicht verhindern ließe? Denn ebenfalls nach der Gesetzgebung des Bundessortenamtes ist nur jenes Saatgut, egal ob durch eine Lizenz eingeschränkt oder nicht, für den Agrarhandel zugelassen, das auch auf der Bundessortenliste aufgeführt und damit eine Zulassung hat. Diese Zulassung wiederum kann aber nur der (bisherige) Lizenzinhaber beantragen oder zurückgeben. Und die Firma Europlant, die von Januar 2005 an aus ‚Linda’ keine weiteren Profite mehr ziehen kann, hat rechtzeitig zum 31.12.04 diese Zulassung zurückgezogen. Damit dürfen nur noch die jetzt noch im Umlauf befindlichen Kartoffeln angebaut und verkauft werden. Besonders hart trifft diese Entscheidung vor allem die Bio-Branche. Denn zu all den bereits genannten Vorzügen von Linda kommt noch hinzu, dass sie mit den Anforderungen an einen Ökolandbau am besten zurecht kam und somit auch in der Bio-Landwirtschaft die meist angebaute Kartoffelsorte ist und war. Biologische Vielfalt und Nachhaltigkeit bleiben auf der Strecke.
Kenner der Gourmetszene sind sich einig, dass keine der neueren auf dem Markt befindlichen Kartoffelsorten von Geschmack und Qualität her an ‚Linda’ herankommt. Aber dies interessiert im hart umkämpften Wettbewerb des Agrobusiness niemanden. Im Hannover’schen Bundesamt gibt man sich ungerührt, da es ja auch völlig normal sei, dass alte PKW-Modelle vom Markt genommen würden. Und selbst im Verbraucherministerium, wo man sich seit der Künast-Ära für den „Erhalt der biologischen Vielfalt“ einsetzt, hält man sich bedeckt. Vermutlich weiß man dort längst, dass man angesichts der Macht der weltweit operierenden Sortenschutz- und Genpatente-Lobby machtlos ist und nur ein weiteres, politisch zum Scheitern verurteiltes und damit unbeliebtes Thema ins Licht der Öffentlichkeit rücken würde.
Um die Zulassung und die Lizenz für eine Pflanzensorte zu erhalten, muss man sich langwierigen, aufwändigen und kostenintensiven Verfahren unterwerfen, so dass dies ein „normaler Landwirt“ gar nicht finanzieren könnte. Lizenz- und Patentinhaber erhalten aber im Gegenzug ein gewaltiges Marktbeherrschungsinstrument. Interessen von
Verbrauchern in Bezug auf Geschmack, inhaltlicher Qualität und Sortenvielfalt in den Regalen bleiben somit aber zu Gunsten rascher Vermarktbarkeit und industrieller Verarbeitbarkeit der landwirtschaftlichen Produkte auf der Strecke. Leider auch zu Gunsten rein äußerlicher Merkmale, weil Kunden bevorzugt makellose und einheitlich geformte Feld- und Baumfrüchte kaufen. Auf diese Weise konnte es dazu kommen, dass heutzutage nur noch etwa 160 Kartoffelsorten „gelistet“ sind. Anfang des letzten Jahrhunderts waren noch rund 1000 Sorten unterschiedlicher Formen, Farben, Eigenschaften und Geschmacksvarianten auf deutschen Marktständen zu haben. Bei den anderen Gemüse- und Obstsorten verhält es sich ähnlich. Welch eine Verarmung der genetischen Vielfalt, welch eine Vereinheitlichung unserer Umwelt und unserer Nahrungsgrundlagen, welche gigantische Ressourcen-Vergeudung, völlig konträr zu jeglichem Nachhaltigkeits-Gedanken, nur allein aus Machtinteresse und Profitgier! Und immer mehr Menschen greifen zu Vitaminpillen und Nahrungsergänzungsmitteln, um die infolge zunehmender Inhaltsverarmung und Eintönigkeit unserer Nahrungsmittel fehlenden Spurenelemente und Mineralien zu ergänzen. Aber damit lassen sich ja wieder einträgliche Geschäfte machen...
ej