Schachecke
Eine gute Zeitung hat eine Schachecke, also jetzt auch der Falkenseer Kurier. Es wird berichtet vom königlichen Spiel, wo immer es etwas zu staunen gibt: In der Bundesliga, bei Kinderturnieren, in den Berliner Mannschaftsmeisterschaften und wenn taktische Blitze im Internet ausgetauscht werden.
Oder wenn in Bonn „Das Duell: Mensch gegen Maschine“ stattgefunden hat, so der großspurige Titel des Matches zwischen dem Weltmeister im klassischen Schach, Wladimir Kramnik, und dem Programmcode von Deep Fritz, einem Kind der Hamburger Softwareschmiede Chessbase. Vom 25. 11. bis zum 5. 12. spielten sie 6 Partien, und, was soll man sagen: Der Rechner gewann mit 4:2. Alle möglichen Medien berichteten, Zehntausende verfolgten die Partien im Internet und - gähnten. Kramnik, derzeit der beste Torwart im Schach (er verliert fast nie, gewinnt aber auch nur höchst selten), tauschte die Damen ab und rettete sich ein ums andere Mal in Remisendspiele.
Wenn wir die letzte Partie außer Acht lassen, in der er sich ohne Widerstand zusammen schieben ließ, dann war nur die zweiten Begegnung von Interesse. Der 31-jährige Russe verstand es als Schwarzer, ein strategisch kompliziertes Spiel aufzuziehen, und nach 31 Zügen blieb das Elektronengehirn mit einem wertlosen Doppelbauer gegen eine mobile Bauernmehrheit am Damenflügel zurück.
Deep Fritz - Wladimir Kramnik, 27.11.06 (2. Wettkampfpartie)
1. d4 d5 2. c4 dxc4 3. e4 b5 4. a4 c6 5. Sc3 b4 6. Sa2 Sf6 7. e5 Sd5 8. Lxc4 e6 9. Sf3 a5 10. Lg5 Db6 11. Sc1 La6 12. De2 h6 13. Le3 Lxc4 14. Dxc4 Sd7 15. Sb3 Le7 16. Tc1 O-O 17. O-O Tfc8 18. De2 c5 19. Sfd2 Dc6 20. Dh5 Dxa4 Mutig! Kramnik holt sich einen Bauern, während der Königsflügel bedroht wird. Aber ... 21. Sxc5 Sxc5 22. dxc5 Sxe3! Durch diesen Zug wird der gefährliche Läufer abgetauscht und dem weißen ein wertlosen Doppelbauer verpasst. 23. fxe3 Lxc5 24. Dxf7+ Das sieht gefährlich aus, aber es ist nichts los. Kh8 25. Df3 Tf8 26. De4 Dd7 27. Sb3 Lb6 28. Tfd1 Df7 29. Tf1 Da7 30. Txf8+ Txf8 31. Sd4.
Und nun kommt der Beweis, warum Schachspielen gegen ein modernes Programm ungefähr so sinnvoll ist wie Wettlaufen gegen einen Ferrari: Man hat keine Chance mehr, selbst der Weltmeister nicht. Er rechnete sich eine Zugfolge aus, die zu einer strategisch gewonnenen Stellung führt: 31... a4 Bringt die Bauernmehrheit in Bewegung und will sich - in zwanzig Zügen vielleicht - eine zweite Dame holen. Ein guter Plan. 32. Sxe6 Lxe3+ 33. Kh1 Lxc1 34. Sxf8 Ein raffinierter indirekter Turmtausch. Jeder Abtausch bringt mich dem Endpielsieg näher, dachte er und zog, um auch noch die Damen loszuwerden: 34... De3 (siehe Diagramm). Weil jetzt Grundreihenmatt droht, kann Weiß nicht verhindern, dass Schwarz seine Bauern entscheidend voranbringt - der Springer steht weit weg und schafft es nie im Leben, die noch einzuholen. Kramnik muss so ähnlich spekuliert haben. Die Chronisten berichten, dass er aufstand und sich einen Kaffee holte. Ganz ruhig.
Er hatte bei aller strategischer Weitsicht jedoch eine klitzekleine Kleinigkeit übersehen (immerhin vor vier Zügen). Sehen Sie, was auf dem Bildschirm des Laptops erschien und wie Deep Fritz nachwies, dass Kramnik soeben einen der größten Patzer im Top-Level-Schach der letzten 150 Jahre gemacht hatte?
Moutard