Straßentheater in Staaken
Neun Jahre Auseinandersetzung der Siemens- Siedlung Staaken um Bebauungsplan
Unter dem Motto „Wir lassen uns nicht in den Ruin treiben“ fand am 9. Sept. 2005 eine Veranstaltung in der altehrwürdigen Kirche aus dem frühen 14. Jahrhundert in Weststaaken statt. Veranstalter war die „Interessengemeinschaft zur Beibehaltung der Straßenbreiten in der Siemens- Siedlung Staaken“ (IG). Geladen waren die Siedler der 216 Häuser sowie Politiker aller Parteien des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlung Spandau. Da der Termin in die heiße Wahlkampfzeit fiel, sagte der wichtigste Entscheidungsträger, Baustadtrat Röding (CDU), ab ein Schelm, wer Schlechtes denkt! Auch der geladene Bezirksbürgermeister Birkholz war verhindert. Anwesend waren: Herr Melzer (CDU, Stadtentwicklungsausschuss), Herr Schulz (SPD), Herr Bannasch (FDP), Herr John (GAL), Herr Zisch, Frau Düren (PDS) und Frau Mattuschek (PDS, Abgeordnetenhaus). Auch zwei Herren des VDGN (Verband Deutscher Grundstücksnutzer e.V.) waren anwesend. Die Berliner Abendschau war mit einem Übertragungswagen vorgefahren. Ulli Zelle (Moderator vom rbb) war ca. 19:45 Uhr live zugeschaltet, um das Anliegen der Siedler an ca. 300 000 Zuschauer zu senden.
Zuvor ein bisschen Geschichte: Am 25. Okt. 1996 wurde u.a. von Herrn Hentschel der Verein Siemens-Siedlung Staaken e.V. gegründet, mit dem Ziel, „einen vernünftigen und wirtschaftlich vertretbaren
Bebauungsplan (B-Plan) durchzusetzen. Darin sind soziale Aspekte hinsichtlich der Nutzung des Altbaus, der An- und Neubauten und der Erschließung des Grundstücks berücksichtigt“.
In der Siedlung gibt es zu 55 % 6 m breite und zu 45% 4 m breite Straßen. Schon damals war eine Hauptforderung der Anwohner, die Straßenbreiten so zu belassen und eine bezahlbare Lösung zur Befestigung der mit Schlaglöchern geprägten Sandpisten zu erreichen. Den Siedlern wurde 1997 vom Bauamt ein Bebauungsplanentwurf vorgelegt, der nicht akzeptabel war. Die intensive Roundtable -Auseinandersetzung führten dazu, dass vernünftige Lösungen aufgenommen wurden. Keine Teilung der Grundstücke sollte es geben, eine vernünftig bebaubare Grundfläche sollte erlaubt sein, die Erhöhung der Häuser um einen Meter und damit auch verbunden das Nachbarschaftsrecht sollte geregelt werden, und die Straßenbreiten sollten so bleiben. Dazu haben die Siedler dem Bauamt alle erforderlichen Zustimmungen von Feuerwehr, Wasserbetrieben, Stadtreinigung und Polizei vorgelegt. Die Behörden jedoch bestanden auf einem Ausbau auf mindestens 6 m oder sogar auf 7,5 m.
Nach einer Veranstaltung in der Dorfkirche im Jan. 1998, stimmte der damalige Baustadtrat Scheunemann (SPD) dem B-Plan mit den vorhandenen Straßenbreiten von 4 m zu. Dies wurde jedoch nach wenigen Tagen wieder rückgängig gemacht, da das Rechtsamt (Herr Fischer) nun darauf hinwies, dass in 4 m Straßen baulich keine Regenentwässerung zu integrieren sei. Diese sei aber erforderlich, da ansonsten das Regenwasser in die Keller fließen könnte und das Bezirksamt in Regress genommen werden könnte (die meisten haben keinen Keller!). Weitere Verhandlungen folgten.
Im B-Plan-Entwurf wurde dann aufgenommen: „aus der Festsetzung von 6 m breiten Straßenverkehrsflächen erwächst für das Land Berlin keinen Verpflichtung, kurzfristig Straßenverkehrsflächen von jetzt 4 m auf 6 m zu erweitern“. Ist der Zeitpunkt der endgültigen Straßenherstellung gekommen, so wird das Tiefbauamt prüfen, ob auch „nach dem dann vorliegenden Erkenntnisstand“ ein Ausbau in 6 m Breite nötig sein wird oder ggf. auf eine Verbreiterung gänzlich oder teilweise verzichten werden kann. Unzufrieden mit diesem Ergebnis gründete sich 2001 die IG und die Zusammenarbeit mit dem Siemens Verein wurde vereinbart. Im Dez. 2001 fand das erste Treffen mit RA Frau von Oppen statt, sie nahm Akteneinsicht und schrieb dem Bezirksamt und informierte die Siedler über Stand der Dinge und die Möglichkeiten, die sich aus juristischer Sicht ergeben. Am 20. März 2002 war es soweit: Der B-Plan lag zur Abstimmung in der Bezirksversordnetenversammlung (BVV). Der Baustadtrat begründete und CDU und FDP hoben die Hand. SPD, GAL und PDS waren dagegen. Einige Siedler störten durch Zwischenrufe die Versammlung. Die „Störer“ wurden des Saales verwiesen und von den Aufsehern abgeführt. Die Sitzung wurde unterbrochen und der B-Plan nicht verabschiedet.
Die IG wandte sich erneut an den Baustadtrat und bat um einen Termin zur Erörterung. Zur Vorbereitung wurden umfangreiche Recherchen betrieben. Man fand das Ing.-Büro Prof. Dr. Sieker, das innovative Straßenkonzepte mit integrierten Entwässerungssystemen anbietet, eine Präsentation fand statt. Vertreter der Ämter, der Fraktionen und der Betroffenen nahmen daran teil. Bei dieser Sitzung stellte die IG exakt dar, warum eine Verbreiterung immense Kosten für den einzelne Anlieger bedeute. So müssten 59 Laternen, 153 zum Teil schöne und alte Zäune, 72 Bewässerungsschächte, 4 Entwässerungsschächte, 34 alte Hecken abgerissen bzw. versetzt werden und eine Vielzahl alter erhaltenswerter Bäume gefällt werden.
Zu diesen Kosten werden dann alle Siedler, egal ob an 4 oder 6 m breiten Straßen, herangezogen. Geschätzte Kosten: bis zu 25.000 Euro pro Anlieger. Die Präsentation kam gut an, doch plötzlich waren das Rechtsamt und das Tiefbauamt der Auffassung, nicht die Regenentwässerung sei das Problem, sondern die kürzlich für Berlin eingeführte EAE (Empfehlung zum Ausbau von Erschließungsstraßen). Nach dieser Wendung forderte die IG die Senatsverwaltung auf, sich noch einmal zusammen zu setzen, um darüber Konkretes zu erfahren. Leider kam es bis dato nicht dazu.
Der abgeordnete Swen Schulz nahm Kontakt mit dem damaligen Senator Strieder auf, um zu erfragen, ob der Senat den B-Plan mit 4 m breiten Straßen ablehne. Im Juni 2002 kam an ihn adressiert die Stellungnahme des Senators: „... (es) ergibt sich eine theoretische Mindestmaßbreite von 4,75 m (AS4), wenn der Gehweg zum Ausweichen für Fahrzeuge befahrbar gestaltet wird. Letztendlich handelt es sich aber auch bei diesem Wert um eine Empfehlung, von der im Einzelfall abgewichen werden kann. Mein Haus wird keinesfalls auf eine maximale Erfüllung dieser unverbindlichen Empfehlungen bestehen. Vielmehr begrüße ich, auch mit Blick auf die Haushaltslage des Landes Berlin, die Bemühungen, hier eine übermäßige Straßenbreite zu verhindern. Der Bezirk wird sich dieser Entscheidung nach Abwägung der Interessen und Betroffenheiten sicherlich anschließen. (gez. Peter Strieder, Auszug)“.
2003 und 2004 ruhte der B-Plan im Amt. Die IG hielt weiterhin Kontakt mit den Parteien. Am 13.Mai 2005 kam wieder Bewegung in die Angelegenheit. Baustadtrat Röding, Herr Melzer, Herr Schulz , Herr Zesch besuchten IG und Siemens Verein. Herr Röding bot den Siedlern an, die Straßen in Privateigentum zu übernehmen. Der B-Plan würde dann keine Verbreiterung mehr enthalten müssen. Eine Entscheidung sollte schnell gefällt werden. Eine neue EU- Richtlinie dränge dazu. Die Alternative wäre ein Zustand ohne B-Plan mit schlimmen Folgen für die Siedler. Dann könne man keinen Bauantrag mehr bearbeiten (sog. Planungsvakuum). Die IG ließ sich nicht unter Druck setzen und recherchierte, diskutierte und informierte die Anwohner in zwei Veranstaltungen im Sommer d.J. In einer anonymen Fragebogenaktion wurde nach dem Interesse an Privatstraßen, dem B-Plan und einem Straßenausbau gefragt. Das Ergebnis war besorgniserregend und es ist nicht mehr auszuschließen, dass viele Siedler durch die Planungen des Bezirks in den Ruin getrieben werden. Das zur Historie.
Nach Begrüßung und Einführung wurde die Lage der Straßen anhand eines Schaubildes erklärt. Ca. 20% der 4 m Straßen sind Sackgassen, das Verkehrsaufkommen dabei ca. 20 Fahrzeuge am Tag. In den anderen Straßen liegt die Schätzung bei max. 50 Fahrzeugen.
Die anonyme Fragebogenaktion, an der über 100 Siedler teilnahmen ergab: über 90 % sind gegen die Verbreiterung der Straßen, ca. 2/3 aber an einer Befestigung interessiert. Über 90% lehnen den B-Plan in der jetzigen Form ab, fast 100% könnten die geschätzten Kosten nicht übernehmen. Daraufhin entbrannte eine hitzige Diskussion. Herr Melzer versicherte ausdrücklich, dass nichts verabschiedet wird, was die Siedler nicht wollten. Der Vorstand der Siemens Siedlung, M. Breibert, erwähnte, dass auch der Verein nach wie vor gegen eine Verbreiterung ist, jedoch evtl. die Möglichkeit sieht, die Straßen als Privateigentum zu bekommen. Herr Bannasch riet absolut von Privatstraßen ab, da die Folgekosten unübersehbar seien. Dergleichen Auffassung waren auch Herr Zesch, sowie die Vertreter des VDGN und eine Vielzahl von Siedlern. Frau Mattuschek bestärkte die Siedler in ihrem Bestreben, für die Beibehaltung der Straßenbreiten zu kämpfen, da ihrer Ansicht nach von Senatsseite keine Einwände wären. Sie widerlegte auch die Theorie des „Planungsvakuums“. Herr Schulz sagte, es sei bereits viel erreicht, die Straßenproblematik sei offen. Herr Albrecht unterstützte das Anliegen der Siedler und brachte Beispiele. Viele Siedler vertraten ihre Ansichten engagiert und vehement. Sie fühlen sich vom Bezirksamt „hinters Licht geführt“.
An diesem Abend war natürlich keine Einigung zu erwarten. Der Kampf wird wohl weitergehen, bis eine für alle akzeptable Lösung erreicht worden ist.
Der nächste Stadtentwicklungsausschuss tagt am 4. Oktober 2005 um 16 Uhr im Rathaus Spandau. Es wurde dazu aufgerufen, dass so viele Siedler wie möglich dorthin kommen, auch wenn kein Rederecht besteht.
Infos: Huber Tel.: 030 366 20 50, Schneider Tel.: 030 367 86 90
Michael Huber